Um den richtigen Weg zu finden, braucht man nicht immer GPS,
Karte oder Kompass. Was heutigen Navigationscomputern eine enorme
Rechenleistung abverlangt, lässt sich auch erreichen, indem
man sich die Gesetze der physikalischen Chemie zu Nutze macht und
so genanntes Chemical Computing betreibt. Der Trick funktioniert
folgendermassen: Am Ausgang eines mit alkalischer Flüssigkeit
gefüllten Labyrinths – also am Zielort – wird ein
mit Säure versetztes Gel angebracht. Innert kurzer Zeit
verteilt sich die Säure im noch alkalischen Irrgarten, der
Grossteil davon bleibt allerdings zusammen mit dem Gel am Ausgang.
Gibt man nun an das andere Ende des Labyrinths, am Eingang, eine
mit Farbstoffen versehene Lauge, sucht sich diese automatisch den
Weg zum Ausgang – den Ort mit dem höchsten
Säuregehalt.
Ein nützlicher Effekt
Dieser Vorgang ist ein Beispiel für den Marangoni-Effekt, der
eintritt, weil die im Labyrinth verteilte Säure mit der neu
hinzugegebenen, gefärbten Lauge reagiert. Die Lauge wird vom
Gemisch aus alkalischer Flüssigkeit und der Säure im
Labyrinth abgestossen und zur Säurequelle am Ausgang
geschoben. Dabei hinterlässt sie durch ihre Färbung eine
deutliche Spur. Die gefärbte Lauge wählt dabei
vornehmlich den kürzesten Weg. Alternative Wege werden aber
auch beschritten – nur mit deutlich geringerer
Wahrscheinlichkeit und damit schwächerer Farbspur. «Der
Vorteil dieses chemischen Rechners gegenüber seinem
elektronischen Pendant ist, dass er alle möglichen
Wegvarianten nahezu parallel findet, während ein Computer eine
Möglichkeit nach der anderen sukzessive durchrechnet, was
unter dem Strich länger dauert», erklärt Rita
Tóth von der Abteilung «Hochleistungskeramik».
Zwar bestehen bereits Methoden, solche Wege mittels
Flüssigkeiten ausfindig zu machen. Das neue Verfahren sei
allerdings das erste, das rein chemisch funktioniert und bei dem
eine Farbspur den Weg direkt anzeigt.
Eine Pizzeria in Budapest
Als nächsten Schritt will sich das Forschungsteam an
grössere und komplexere Labyrinthe wagen – das erste
Versuchsobjekt war nur gut ein Quadratzentimeter gross. Einen Test
«in der Realität» hat das Verfahren aber bereits
bestanden: In einem etwas grösseren Labyrinth nach dem Vorbild
eines Budapester Quartiers hat die farbige Lauge ihr Ziel, eine
Pizzeria, auf dem kürzesten Weg ausfindig gemacht. So
könnte das System später auch einmal bei der
Verkehrsplanung Verwendung finden. In Hirnforschung, Psychologie,
Netzwerkforschung und Robotik sieht Projektleiterin Tóth
weitere Anwendungsgebiete. Die Ergebnisse des Teams stossen
jedenfalls bereits auf grosses Interesse; die Arbeit ist eine der
meistgelesenen im Fachmagazin «Langmuir».
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